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Die erfolgreiche Zeitenwende beginnt im Kopf

(BS) Unsere Gegenwart ist geprägt durch vielfältige Gefahren für unsere Demokratie, für die wir effektive Antworten jenseits altbekannter Schubladen, Zuständigkeiten und Grenzen benötigen. Ein Beispiel sind die hybriden Bedrohungen, noch einmal potenziert und in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine. So sind nach einer mutmaßlich von einem fremden Geheimdienst gesteuerten Cyberattacke auf Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern qua ihres gesetzlichen Auftrags zuständig, aber auch etliche weitere Behörden wie die Polizeien, die strafrechtlich ermitteln, Staatsanwaltschaften oder auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Beträfe ein solcher elektronischer Angriff auch andere westliche europäische Staaten, sind nicht nur mehrere Bundesländer und federführend der Bund gefragt, sondern zahlreiche weitere Sicherheitsbehörden unserer europäischen Partner. Gerade in solchen Ad-hoc-Lagen kommt es auf eine rasche und wirkungsvolle Kooperation und den reibungslosen Austausch von Informationen an – behörden- und länderübergreifend.

Ein weiteres Beispiel für das heute absolut notwendige Querschnittsdenken über die eigene Disziplin hinaus: Der durch den Überfall der terroristischen Hamas auf Israel eskalierte Nahostkonflikt hat massive Auswirkungen auch auf die extremistischen Gruppierungen in Deutschland, die versuchen, insbesondere den Krieg im Gazastreifen für ihre ideologischen Zwecke zu instrumentalisieren. Überall in Deutschland gibt es seither zahlreiche Demonstrationen, häufig mit israelfeindlichen und antisemitischen Konnotationen.

Bei der Beobachtung, Analyse und Bekämpfung dieser antisemitischen Bestrebungen müssen wir ebenfalls breiter denken als bisher, denn wir stellen eine Solidarisierung oder zumindest eine anlassbezogene Zusammenarbeit verschiedener extremistischer Phänomenbereiche fest, welche für zahllose Verfassungsfeinde vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen wäre. So gibt es in Berlin, Hamburg und in anderen Städten Deutschlands Versammlungen im Kontext des Nahostkonfliktes, bei denen Islamisten und Extremisten mit Auslandsbezug Seite an Seite marschieren mit Linksextremisten und verschwörungsideologischen Verfassungsfeinden aus dem Spektrum der Delegitimierer – ihr gemeinsames Feindbild: Israel.

Was folgt aus diesen Beispielen aktueller, grenz-, ämter- und disziplinüberschreitender Gefährdungen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung? Die Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und die Nachrichtendienste im Besonderen müssen rechtlich, personell und technisch-materiell den aktuellen Herausforderungen gewachsen sein.

Rechtlich:
Zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu einzelnen Verfassungsschutzgesetzen der Länder haben in den vergangenen Jahren die Arbeit der Nachrichtendienste deutlich erschwert. Für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und die Übermittlung von Erkenntnissen an andere Behörden, also der Informationsaustausch mit Polizeien, Staatsanwaltschaften, Ausländerbehörden und anderen, gelten hohe Hürden. Es ist eine Quadratur des Kreises, dass einerseits von den Nachrichtendiensten ein möglichst breiter und effektiver Informationsaustausch bei der Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer oder islamistischer Verfassungsfeinde gefordert wird, die derzeitige Rechtslage dies aber häufig ganz und gar nicht zulässt, im Gegensatz zur Situation in zahlreichen gefestigten pluralen Demokratien unserer westlichen Partnerländer. Mitdenken müssen wir an dieser Stelle auch zusätzliche notwendige Befugnisse, die ein moderner Nachrichtendienst benötigt.

Zudem sollten wir die gesetzlichen Grundlagen schaffen, europa- oder zumindest EU-weit mit unseren Partnerdiensten so eng zusammenzuarbeiten, dass Europa souveräner bei der Informationsgewinnung wird und beispielsweise unabhängiger von Diensten der USA wird – niemand weiß, in welche Richtung sich die gesellschaftlich-politischen Realitäten in den Vereinigten Staaten entwickeln werden, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik.

Aber: Recht kann man ändern, sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Dazu braucht es die erforderliche Gestaltungskraft der Verantwortlichen. Das gilt in Deutschland auch für verschiedene datenschutzrechtliche Bestimmungen. Datenschutz ist wichtig, aber die Sicherheit der Menschen, und damit auch ihre Freiheit, ist ein ebenso hohes Gut. Zudem könnte es hilfreich sein, die Judikative intensiver als bisher über die Aufgaben des Verfassungsschutzes zu informieren. Der Nachrichtendienst ist im Grundgesetz mit guten Gründen als Frühwarnsystem der Demokratie angelegt worden – mit Kompetenzen weit im Vorfeld von Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, von Verboten oder Durchsuchungen.

Personell:
Die Nachrichtendienste in Bund und Ländern, aber auch in unseren westlichen Partnerstaaten, müssen personell so aufgestellt werden, dass sie mit der extremistischen Informationsflut speziell in sozialen Medien und Messengerdiensten professionell umgehen können. Dazu gehören gut qualifizierte Frauen und Männer, dazu gehören aber auch berufliche Perspektiven, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst lange, möglichst für immer, beim Nachrichtendienst bleiben.

Die Fluktuation ist eine Riesen-Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. Die Nachrichtendienste konkurrieren dabei mit anderen Behörden und der freien Wirtschaft, die deutlich mehr Angebote für flexibles Arbeiten, Stichwort Home Office, bieten können, als beispielsweise eine Verfassungsschutzbehörde. Home Office für operativ tätige Kolleginnen und Kollegen, etwa in der Observation, ist in der Praxis nicht möglich.

Wir müssen Perspektiven bieten können, und zwar mit gut dotierten Stellen, in deren Richtung sich unsere jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln können. Dazu braucht es flächendeckende Stellenhebungsprogramme insbesondere im mittleren und gehobenen Dienst. „Work Life Balance“ ist schick – aber die Attraktivität einer Tätigkeit muss sich auch im Gehalt widerspiegeln. Wir benötigen konkurrenzfähige Bezahlungsmöglichkeiten.

Technisch-materiell:
Für die anfallende Informationsflut brauchen wir am Ende immer Menschen, Auswerter, Analysten, Wissenschaftler, aber ohne leistungsfähige, hochmoderne IT-Produkte geht es nicht. Wir müssen technisch mit den Feinden unserer Demokratie mithalten können, um beispielsweise deren Kommunikation finden und einordnen zu können. KI-Lösungen helfen uns dabei jetzt schon – für die Recherche und Bewertung anfallender Informationen, für die Kreation aussagekräftiger Lagebilder, wird KI künftig unverzichtbar sein. Gleiches gilt für die Detektion und Abwehr nachrichtendienstlich gesteuerter Cyberangriffe. All das kostet Geld, unsere abwehrbereite, freiheitliche Demokratie sollte uns das wert sein.

Die Sicherheitsbehörden insgesamt und speziell die Nachrichtendienste sind von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der zerstörten Weimarer Demokratie und der NS-Diktatur genauso gewollte wie unverzichtbare Instrumente unserer wehrhaften, abwehrbereiten, streitbaren Demokratie. Gewollt ist das Grundgesetz eine Wertentscheidung: Wer danach strebt, unsere Verfassung zu bekämpfen oder gar zu vernichten, der soll mit effektiven Instrumenten daran gehindert werden, unter anderem durch einen leistungsfähigen Verfassungsschutz mit motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

In diesem Kontext war es die klare Intention des Parlamentarischen Rates von 1948/49, ein demokratisches Frühwarnsystem mit bestimmten Kompetenzen zu schaffen – keine Hilfspolizei. Und wir brauchen eine moderne, fachübergreifende Denke außerhalb eingefahrener Wege und Zuständigkeiten. Unabdingbare Grundlage dafür ist der politische Rückhalt, aber vor allem auch ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass es professionelle und starke Nachrichtendienste braucht. Wir brauchen Vertrauen, kein Misstrauen. In Großbritannien ist es eine Ehre, eine MI 5- oder MI 6-Biografie im Lebenslauf zu haben. Wir alle sollten gemeinsam dran arbeiten, dass wir in Deutschland eine ähnliche Kultur bekommen – die erfolgreiche Zeitenwende beginnt im Kopf.

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