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Der Bewerbungsverfahrensanspruch eines zuvor befristet beschäftigten Arbeitnehmers – Urteil des BAG vom 29. Februar 2024 (8 AZR 187/23)

Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte, Art. 33 Abs. 2 GG. Daraus resultiert für jeden Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Auswahl für jedes öffentliche Amt, der sog. Bewerbungsverfahrensanspruch. Bezogen auf die Kriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung folgt daraus ein subjektives Recht von Bewerber*innen auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren. Dieses Recht bezieht sich sowohl auf Neueinstellungen als auch auf Beförderungen.

Das BAG (Urt. v. 29. Februar 2024 – 8 AZR 164/22) entschied im vorliegenden Fall, dass die Entscheidung eines öffentlichen Arbeitgebers, nur solche Bewerber*innen für ausgeschriebene Stellen zu berücksichtigen, bei welchen nicht die Möglichkeit eines Rechtsmissbrauchs besteht, die Organisationsentscheidung betrifft. Der öffentliche Arbeitgeber hat im Rahmen der Organisationsentscheidung die Möglichkeit, eine Stelle nur befristet auszuschreiben. Die in diesem Zusammenhang getroffenen Entscheidungen betreffen gerade nicht das Auswahlverfahren, sondern die vorgelagerte Organisationsentscheidung.

Das Urteil des BAG – Kettenbefristungsverbote zum Nachteil des Arbeitnehmers?

Die schwerbehinderte klagende Partei war bereits seit 2010 auf Grundlage von sieben befristeten Arbeitsverträgen in einem öffentlichen Arbeitsverhältnis beschäftigt. Der Dienstherr schrieb im Januar 2022 eine auf zwei Jahre befristete Stelle für interne und externe Bewerber*innen aus. Die klagende Partei bewarb sich um diese Position und bat um die Umsetzung auf die genannte Stelle. Der Antrag wurde abgelehnt. Der beklagte Arbeitgeber führte zur Begründung aus, dass ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis nicht mehr zumutbar sei. Der Dienstherr sah die Gefahr, dass eine weitere Befristung aufgrund institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein könnte. Der Kläger wurde daher nicht in die Auswahlentscheidung einbezogen.

Die klagende Partei wandte sich vor Gericht gegen die Nichtberücksichtigung und beantragte, die beklagte Partei zu verurteilen, die Stelle mit ihm zu besetzen. Der Kläger vertritt hierbei die Ansicht, das Verbot der Kettenbefristungen solle Arbeitnehmer*innen schützen und ihnen mehr Planungssicherheit geben. Es solle dem öffentlichen Arbeitgeber jedoch keinen (weiteren) Ablehnungsgrund an die Hand geben. Dieser Ansicht folgte das BAG in seiner Entscheidung nicht.

Die Entscheidung des BAG

Wie die Vorinstanz sah das BAG die Nichtberücksichtigung der klagenden Partei als rechtmäßig an. Das Gericht stellte fest, die beklagte Partei sei weder nach Art. 33 Abs. 2 GG noch aufgrund einer bestehenden Inklusionsvereinbarung verpflichtet, die ausgeschriebene Stelle mit dem Kläger zu besetzen. Ein unmittelbarer Einstellungsanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebe sich nur dann, wenn die Einstellung des Bewerbers die einzig rechtmäßige Entscheidung darstelle und jede andere Entscheidung rechtswidrig sei. Der Bewerbungsverfahrensanspruch müsse von der Organisationsfreiheit des öffentlichen Arbeitgebers abgegrenzt werden. Die Entscheidung, ob ein öffentliches Amt zu besetzen sei und wie es ausgestaltet werde, unterfalle der Organisationsgewalt des Rechtsträgers. Die Organisationsfreiheit staatlicher Stellen solle die ordnungsgemäße und effiziente Erfüllung staatlicher Aufgaben sicherstellen. Sinn und Zweck sei stets die bestmögliche Erfüllung staatlicher Aufgaben. Dem Dienstherrn stehe es im Rahmen seines Organisationsermessens frei, ob er eine Stelle als Beamten- oder Arbeitsverhältnis ausschreibe. Auch die Entscheidung, eine Stelle nur befristet zu besetzen, betreffe die Organisationsfreiheit. Gemäß § 14 Abs.1 TzBfG sei die Befristung von Arbeitsverhältnissen zulässig, wenn diese durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Die Entscheidung, ob ein solcher Grund vorliegt, liege im Ermessen des Arbeitgebers.

Nach Auffassung des BAG handelt es sich bei der Ausschreibung einer befristeten Stelle demnach um eine der Auswahlentscheidung vorgelagerte Frage der Organisationsfreiheit. Die Nichtberücksichtigung von Bewerber*innen, die bereits in langjährigen befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, stelle keinen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG dar. Der öffentliche Arbeitgeber könne nicht dazu verpflichtet werden, solche Bewerber*innen zu berücksichtigen, bei denen die Umsetzung der Einstellung in keiner Weise rechtssicher wäre. Öffentliche Arbeitgeber müssen nicht sehenden Auges rechtswidrig handeln. Wären öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, Bewerber mit mehrfach befristeten Arbeitsverhältnissen aus der Vergangenheit in die Auswahl um eine befristete Stelle einzubeziehen, müssten sich öffentliche Arbeitgeber dem klar erkennbaren Risiko des institutionellen Rechtsmissbrauchs aussetzten.

Konsequenzen und Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des BAG verdeutlicht die Bedeutung der Abgrenzung zwischen der Organisationsgewalt und dem Bewerbungsverfahrensanspruch. Um staatliche Aufgaben effektiv ausüben zu können, muss öffentlichen Arbeitgebern die Freiheit bleiben, Stellenausschreibungen und Anforderungen selbst festlegen zu können. Öffentliche Arbeitgeber dürfen insbesondere nicht dazu gezwungen werden, sich rechtswidrig zu verhalten. Die Entscheidung stärkt die Position öffentlicher Arbeitgeber und gesteht diesen Entscheidungsspielräume zu, solange die zu treffende Entscheidung die Organisationsgewalt betrifft.

Aus Sicht des Bewerbers stellt sich die Sache dagegen weniger erfreulich dar. Bewerber*innen haben demnach keinen Anspruch auf Berücksichtigung im Bewerbungsverfahren, wenn ihre Anstellung wegen des Verbots von Kettenbefristungen nicht möglich ist. Demnach werden Bewerber*innen von vornherein vom Auswahlverfahren ausgeschlossen, sofern sie in der Vergangenheit aufgrund zahlreicher Befristungen bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren. Dabei wurde das Institut des institutionellen Rechtsmissbrauchs entwickelt, um Arbeitnehmer*innen gegen überlange Befristungsketten zu schützen. Dieser Schutz kann dagegen in sein Gegenteil umschlagen. Anstelle eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses lässt der öffentliche Arbeitgeber das befristete Arbeitsverhältnis auslaufen (in der Diktion des BAG: „negative Reflexwirkung“). Im Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GG spitzt sich die Sache noch zu: Der Bewerber könnte der Geeignetste sein und hätte ohne Vorbeschäftigung einen Anspruch auf die Stelle, dennoch dürfte auf Basis dieser Rechtsprechung der öffentliche Arbeitgeber ihn von vorneherein aus dem Bewerberkreis ausklammern. Die Fälle von Befristungsketten spielen ganz überwiegend im öffentlichen Dienst. Es ist eigentlich erstaunlich, dass das Zusammentreffen dieser Thematik mit dem Grundsatz der Bestenauslese bisher in Rechtsprechung und Literatur kaum behandelt wurde.

Praxishinweise

Das BAG hat im vorliegenden Fall zugunsten des öffentlichen Arbeitgebers entschieden und dessen rechtliche Position gestärkt. Es kommt jedoch stets auf den Einzelfall an.

Öffentlichen Arbeitgebern sei angeraten, den Sachverhalt sorgfältig zu prüfen. Um die Nichtberücksichtigung von Bewerber*innen mit vorangegangenen Befristungen begründen zu können, muss die Gefahr bestehen, institutionell rechtsmissbräuchlich zu handeln. Die Bestimmung der Schwelle zum institutionellen Rechtsmissbrauch hängt maßgeblich von der Gesamtdauer der befristeten Anstellungen ab. Nach der Rechtsprechung des BAG ist hierbei an die gesetzliche Wertung in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG anzuknüpfen. Liegt ein Sachgrund für eine Befristung des Arbeitsverhältnisses vor (§ 14 Abs. 1 TzBfG), gelten diese Beschränkungen nicht. Ein institutioneller Rechtsmissbrauch liegt erst dann vor, wenn der Wert um ein Vielfaches überschritten wird. Die Grenze ist erreicht, wenn ein Wert aus § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG mindestens um das Vierfache oder beide Werte um das Dreifache überschritten werden. Das Arbeitsverhältnis darf nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreiten und zudem nicht mehr als neun Vereinbarungen über Vertragsverlängerungen enthalten, es sei denn, die Gesamtdauer übersteigt acht Jahre oder es werden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart (vgl. BAG, Urt. v. 23. Mai 2018 – 7 AZR 16/17).

Diese Kriterien sind anzulegen. Die neuerliche befristete Beschäftigung müsste in den „Gefahrenbereich“ führen. Dann – und nur darüber trifft das BAG in dem hier vorliegenden Fall eine Aussage – muss dieser Bewerber nicht bei der Auswahl berücksichtigt werden. Es reicht daher nicht aus, sich pauschal auf Vorbeschäftigungen zu beziehen.

Der Autor des Gastbeitrags ist Dr. Herbert Hertzfeld von der Küttner Rechtsanwälte Partnergesellschaft.

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