„Der Blick in die Presse und auf unsere Schreibtische macht deutlich, wie herausfordernd, vielfältig und dringend die Aufgaben im Bereich des Zivil- und auch des Katastrophenschutzes sind“, sagt Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), anlässlich der Eröffnung des zweiten Forschungskongress des BBK. Er fordert intensivere Vorbereitungen im Bereich des Zivilschutzes. Man habe nur noch vier Jahre, um zivilschutztüchtig zu werden.
Die Bedrohungslage hat sich verschärft, sagt Tiesler. Dies zeige der Krieg im Nahen Osten oder das dritte Kriegsjahr in der Ukraine. Ein offener Konflikt mit Russland könne leider in den Planungen nicht mehr ausgeschlossen werden. Doch auch die nichtmilitärischen Herausforderungen für den Bevölkerungsschutz nehmen stetig zu. Die Katastrophenlagen in Valencia im vergangenen Herbst oder die massiven Waldbrände in Kalifornien zeigten dies eindrücklich. Dies seien aber nur einzelne Beispiele.
„Besonders die Gleichzeitigkeit dieser Krisen ist eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Dabei ist es egal, ob sie von der Natur oder von Menschen ausgelöst werden. Denn weder Naturkatastrophen noch Kriegshandlungen machen vor Landesgrenzen halt. Die multiplen Krisen der Gegenwart und Zukunft werden das nicht tun. Ich kann nicht häufig genug betonen, dass wir uns darum immer wieder bewusst machen müssen“, betont Tiesler.
Die vielen Facetten von Angriffen
Die Zukunftsplanung ist besonders von hybriden Bedrohungen dominiert. Dies wird durch die Ausführungen des BBK-Präsidenten klar. Im vergangenen Jahr hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gesagt, man müsse in fünf Jahren kriegstüchtig sein. Ein Jahr sei vergangen, so Tiesler. Deutschland befände sich nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden. Die alltäglichen hybriden Angriffe durch Cyber-Attacken, Sabotage oder Desinformationskampnagen zeigten dies. Selbst das BBK sei betroffen gewesen. So berichtet der BBK-Präsident, dass über seinem Amt Drohnen gesichtet wurden. Die Angriffe passieren täglich und müssten ernst genommen werden.
Deutschland sei aufgrund seiner Aufgaben als Drehscheibe für die NATO ein wichtiges Zahnrad in der Sicherheitsarchitektur des Westens. Man dürfe aber nicht nur an die militärische Komponente denken. Auch die zivile Verteidigung müsse vorbereitet werden. „Militärische und zivile Verteidigung sind gleichwertig und untrennbar auf das gleiche Ziel ausgerichtet: den Staat und die Gesellschaft vor den Angriffen zu verteidigen. Wir müssen dringend mehr in Verteidigung investieren, damit wir uns nicht in wenigen Jahren verteidigen müssen“, fordert Tiesler.
Zivilschutz aus der Schmuddelecke holen
Das bedeutet auch, dass die zivile Seite widerstandfähig gemacht werden müsse, damit die militärische Seite der Verteidigung vollumfänglich arbeiten kann. Man müsse zwar nicht bei null anfangen, aber die Anstrengungen müssten in den kommenden Jahren noch intensiviert werden, so Tiesler.
Doch die Stärkung der zivilen Seite stellt sich manchmal als nicht so einfach dar, vor allem im politischen Raum. „Der Bevölkerungsschutz muss immer um Aufmerksamkeit kämpfen. Die Sirenen der Polizei sind lauter als der jährliche Warntag“, beschreibt Dr. Julia Höller (Die Grünen), Innenpolitische Sprecherin und Stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Landtag NRW, die Problematik. Der Zivilschutz muss aus der Schmuddelecke geholt werden, sagt sie. Es brauche aber neue Rezepte aus der Forschung, um den hybriden Bedrohungen zu begegnen.
Und täglich grüßt die hybride Aktivität
In seiner Analyse kommt Oberst i.G. Sönke Marahrens, Senior Fellow am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK), zu dem Ergebnis, dass es sich weniger hybride Bedrohungen als um hybride Aktivitäten handelt. Denn diese fänden täglich statt.
„Was man dabei verstehen muss, ist, dass diese Aktivitäten kein Selbstzweck sind. Sie sind kein Zufall oder die Ausflüsse eines einzelnen Diktators. Sie dienen konsequent und geplant der Durchsetzung staatlicher und nichtstaatlicher strategischer Ziele durch die Beeinflussung der Entscheidungsfindung oder Untergraben sowie die Zersetzung der Zivilgesellschaft“, erklärt Marahens. Auch wenn es sich um hybride Kriegsführung handelt, sind sie auch ein ziviles Problem, da die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, Äußerer und Innerer Sicherheit sowie öffentlichem und privatem Leben konsequent verwischt werden.
Es gibt mehr als entweder oder
Doch wie kann man sich schützen? Laut Marahens braucht es ein neues Verständnis von hybriden Bedrohungen. Das gilt auch für die viel beschworene Resilienz. Dabei ließe sich gut von unseren nordischen Nachbarn lernen. In Deutschland gebe es aus Zeiten des Kalten Krieges das Verständnis von null und eins im Krieg. Null gleich Frieden, eins gleich Krieg, gleichgesetzt mit Armageddon. Dies sei aber keinesfalls so. Es gebe viel mehr Grauzonen und Schattierungen. Da seien die z. B. Finnen weiter.
Vor allem müsse man sich wehren. „Resilienz wie beim Boxen. Sie nehmen den ersten Schlag gemeinsam. Entweder haben sie trainiert und federn den ersten Schlag ab oder sie stehen auf, bis der Richter bis zehn gezählt hat. Dazu müssen sie aber ihrer Bevölkerung klarmachen, dass sie gemeinsam den ersten Schlag nehmen“, spricht Marahens bildlich. „Das ist der Wandel, den wir auch in unserer Gesellschaft erreichen müssen.“





