Mehr als 500.000 Menschen haben in Deutschland keine Wohnung und ihre Zahl dürfte in Zukunft weiter steigen. Das stellt Kommunen vor große Herausforderungen und ruft kreative architektonische Ideen auf den Plan.
Ein Waschbecken, Camping-Toilette, Sitzbank, daneben ein klappbares Bett mit Matratze – Vollausstattung in einem Raum von gerade mal zweieinhalb Quadratmetern. Zwei Lampen tauchen die spartanische Einrichtung in warmes Licht und sorgen für Wohnlichkeit, eine Elektroheizung pumpt warme Luft in das Zimmer. Es dauert nicht lange, bis das Thermometer die 30-Grad-Marke erreicht.
Im Sommer liefert eine Reihe Solarzellen auf dem winzigen Dach den Strom, der für eine Übernachtung nötig ist; im Winter werden die Batterien für Ofen und Licht in einem Café um die Ecke aufgeladen. Wohnen auf engstem Raum – dieses Konzept hat der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel in seinem „Not-Hotel“ auf die Spitze getrieben, noch weniger Platz geht kaum.
Wer hier übernachtet, ist ohne feste Bleibe und kommt in Anbetracht des unzureichenden Angebots an Notunterkünften in der Hauptstadt in der Regel wieder. „Die meisten unserer Gäste sind Stammgäste“, sagt Van Bo Le-Mentzel. Über der Tür des „Not-Hotels“ prangt in Leuchtbuchstaben „Pickup House“, ins Innere gelangt man über eine kleine Trittleiter. Denn das Tiny House ist auf der Ladefläche eines Piaggio-Mini-Pick-ups montiert, ein fahrbares Zuhause, das dort abgestellt wird, wo es nichts kostet.
Van Bo Le-Mentzel kam in den 1970 er Jahren mit seinen Eltern aus Laos als Wirtschaftsflüchtling nach Deutschland. „Ich möchte der Gesellschaft in Deutschland etwas zurückgeben“, sagt er. Vor drei Jahren hatte er die Idee, ein mobiles Tiny House für Obdachlose zu konstruieren. Täglich liefen ihm wohnungslose Menschen in seiner Kreuzberger Heimat über den Weg. „Einen Parkausweis besitze ich sowieso“, sagt er. Warum also nicht eine Notunterkunft dort hinstellen, wo es nichts kostet? Auf einen öffentlichen Parkplatz.
Anfangs wurde das soziale Wohnprojekt von Le-Mentzel ausschließlich über Spenden finanziert. Seit Dezember vergangenen Jahres wird es in Kooperation mit der Berliner Kältehilfe durchgeführt, der Bezirk bezuschusst das Tiny House. Rund die Hälfte der anfallenden Kosten werden so abgedeckt. Doch damit verbunden ist auch, dass neue Auflagen erfüllt werden müssen – beispielsweise die, den Gästen des „Not-Hotels“ eine warme Mahlzeit pro Aufenthalt zur Verfügung zu stellen.
Wohnraummangel nimmt weiter zu
Das mobile Tiny House in Kreuzberg ist nicht das einzige Projekt, das Le-Mentzel für Wohnungslose im Sinn hat. Mit seinem Architekturbüro plant er weitere Gebäudeeinheiten, in denen wohnungslose Menschen eine Unterkunft finden, ein sogenanntes „integriertes Housing First“. Hier sollen neun bis 14 Quadratmeter große Studios in größeren Wohnkomplexen untergebracht werden, gedacht sind diese für Azubis, Studenten, Büroarbeitende und eben Wohnungslose. Die Bauprojekte sollen über die Privatwirtschaft finanziert werden, die Pläne liegen auch der Berliner Bauverwaltung vor. Eine endgültige Entscheidung über die Genehmigung gibt es bislang nicht.
Nach dem aktuellen Wohnungslosenbericht der Bundesregierung waren im Januar 2025 mehr als 500.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, noch Anfang 2024 waren es rund 439.500 gewesen. Das Problem des Wohnraummangels wächst. Im März 2024 legte der Bund einen Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit vor, mit dem Ziel, „Armut in jeder Form und überall“ bis zum Jahr 2030 zu beenden. Laut dem Papier sollten alle Menschen Zugang zu „angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum und zu einer Grundversorgung erhalten“. Mit Blick auf die aktuellen Zahlen ist Deutschland davon jedoch weit entfernt. So prognostiziert das ifo-Institut bis 2026 einen weiteren Rückgang der neugebauten Wohnungen um 35 Prozent. Von ihrem erklärten Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen, war die Ampelregierung ohnehin stets weit entfernt.
Vor diesem Hintergrund gewinnen innovative Wohnkonzepte für Obdachlose, wie das von Le-Mentzel an Bedeutung. Auch die Stadt Essen schritt in der Vergangenheit bereits in Bezug auf die Bereitstellung von Obdachlosenunterkünften voran. Sie heimste 2017 für ein deutschlandweit erstes und einziges Neubauprojekt einer Notunterkunft vom Bund Deutscher Architekten (BDA) den Publikumspreis für „gute Bauten“ ein. Für den Neubau war eine bestehende Containeranlage abgerissen worden, die Ruhrmetropole zog stattdessen klar strukturierte Gebäude hoch, mit hellem Sichtbeton, farbig glasiertem Klinker und trug damit der Tatsache Rechnung, dass Wohnraumknappheit in Ballungszentren die Aufenthaltsdauer in den Notunterkünften nach oben treibt. 8,3 Millionen Euro investierte die Stadt in die Baumaßnahme, 101 Wohneinheiten für 120 obdachlose Personen waren am Ende das Resultat.
Den von der Bundesregierung vorgelegten Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit heißt der Deutsche Landkreistag gut. Doch der Problematik könne man nicht mit einem Strategiepapier begegnen, sagt Pressesprecher Markus Mempel. „Das wichtigste Mittel gegen Wohnungslosigkeit ist und bleibt ein ausreichendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum.“ Hinzu komme, dass es sich bei Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, meist um hochkomplexe Problemsituationen handele, die in Hilfestellung und Unterstützung persönlich zugeschnittene Maßnahmen erfordern. Housing First-Programme kommen aus Sicht des Landkreistags zwar als Maßnahme in Betracht, aber: „Voraussetzung ist, dass sowohl Wohnraum zur Verfügung steht als auch eine intensive persönliche Betreuung gesichert ist“, so Mempel. Und genau das sei vielerorts eben nicht der Fall.
Planungsrechtliche Rahmenbedingungen für Tiny Houses
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) betont ebenfalls: Es müssten dem nationalen Aktionsplan der Bundesregierung Taten folgen. „Nur wenn ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht, werden wir die Wohnungs- und Obdachlosigkeit bekämpfen können“, erklärt DStGB-Sprecher Alexander Handschuh. Alternative architektonische Konzepte, wie Tiny Houses, könnten zwar zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit in einigen Städten hilfreich sein. Allerdings bedürfe es hier passender planungsrechtlicher Rahmenbedingungen, so Handschuh. „Es muss daher den Kommunen überlassen werden, ob sie diesen Weg gehen wollen“, sagt er.
In Berlin gibt es in einigen Bezirken bereits Tiny Houses für Obdachlose. Doch um die Wohnform in der Breite zu etablieren, fehlt es an Grundstücksfläche. In diese Lücke springt Le-Mentzel mit seinem „Not-Hotel“. Er will das mobile Tiny House nun in Serie bringen und sitzt dafür mit der von ihm gegründeten, gemeinnützigen Organisation „Tiny Foundation“ an Entwürfen für weitere Notunterkünfte auf Rädern. Das aktuell noch auf zweieinhalb Quadratmeter Wohnfläche konzipierte Modell will er dafür auf fünf Quadratmeter vergrößern. Die Umsetzung soll in Zusammenarbeit mit dem Berliner Technik-Museum erfolgen. Dieses hat für März 2026 eine Ausstellung zum Thema „Stadt der Zukunft“, Le-Mentzels fahrbare Notunterkünfte sollen Teil der geplanten Präsentation sein.
Das „Not-Hotel“ in Serie bringen
Der neue „Not-Hotel“-Prototyp soll so konstruiert sein, dass er von Tischlereien simpel nachzubauen ist, erklärt Le-Mentzel. Dabei habe er von seinem Pionier-Projekt gelernt. Eine Fenster-Gaube wolle er beispielsweise in die neuen fahrbaren Häuser nicht mehr einbauen. Zu groß sei die Gefahr von Schimmelbildung. „Fehler gehören dazu und daraus lernt man eben“, sagt er. Wer Unterkünfte für Wohnungslose baue, müsse aber auch beachten: „Man darf es nicht an die große Glocke hängen.“ Sonst sei der Widerstand dagegen im Anschluss vorprogrammiert.