Zwei Landkreise aus Sachsen-Anhalt zogen kurz vor Jahresende vor das Bundesverfassungsgericht. Der Grund: Die Aufgabenlast ihrer Kommunen wächst, die Einnahmen hingegen nicht und das daraus resultierende Haushaltsdefizit macht sie offiziell handlungsunfähig. Und damit sind diese Kommunen kein Einzelfall.
Mittlerweile ist es leider gängige Praxis geworden, dass Bund und Länder Gesetze über den Kopf der Kommunen hinweg erlassen, dabei auch viele Aufgaben an die Gemeinden abgeben und außer Acht lassen, ob das für Kommunen überhaupt umsetzbar ist. Und das, obwohl die Städte gut drei Viertel der gesetzlichen Regelungen ausführten, erklärt der Deutsche Städtetag (DST). Tatsächlich seien die kommunalen Spitzenverbände – zumindest der Theorie nach – auch am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Besonders im Rahmen des Gesetzesentwurfs sei ihre Expertise vorgesehen. Jedoch seien diese Einbindungen so unspezifisch formuliert, dass die tatsächliche Beteiligung seit der Corona-Pandemie immer weiter zurückgehe, so der DST. Durch diese verkürzte Beteiligung würden immer wieder Gesetze verabschiedet, die entweder nachjustiert werden müssten oder die die Last der kommunalen Verantwortung unverhältnismäßig steigerten.
Das „Netzwerk Junge Bürgermeister*innen“ sieht gerade die anstehenden Wahlen als wichtige Chance, um diesen Umstand zu verbessern. Für die Mitglieder ist klar: Die Kommunen sind das Fundament des Staates und „essenziell für die Funktionsfähigkeit eines modernen, bürgernahen Staates“. Laut dem diesbezüglichen Debattenpapier „Ein moderner Staat beginnt in den Kommunen“ prägen sowohl Erfolg als auch Scheitern der Kommunen bei der Umsetzung von staatlichen Leistungen im sozialen Bereich, aber auch bei Infrastruktur- oder Katastrophenschutzprojekten, das Bild und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat. Denn hier gebe es die größten Berührungspunkte mit der Bevölkerung.
Das brauchen Kommunen
Aus diesen Gründen fordert das Netzwerk unter anderem die Einrichtung einer „Kommunalkammer“ auf Bundesebene, ähnlich dem Bundesrat, die bei allen Gesetzen mit kommunaler Auswirkung angehört werden soll. Eine Grundsicherung für den kommunalen Haushalt sowie die Verpflichtung von Bund und Ländern, die finanziellen Folgen von neuen Gesetzen vollständig nach dem Konnexitätsprinzip zu kompensieren, sollen außerdem für sicherere Haushaltslagen und Handlungsfähigkeit bei den Gemeinden sorgen. Daneben fordern sie die Abschaffung redundanter Berichtspflichten, die Einführung eines „One-Stop-Prinzips“ für Fördermittelanträge sowie das weitere Vorantreiben der Digitalisierung mit Augenmerk auf interkommunaler Zusammenarbeit und nutzerfreundlicher Bürgerportale.
Um die gesammelten Forderungen des Debattenpapiers effektiv umsetzen zu können, müssen laut Michael Salomo – dem Bundesvorsitzenden des Netzwerks und Oberbürgermeister der Stadt Heidenheim an der Brenz – zunächst die finanziellen Anliegen verwirklicht werden. Auch die Einrichtung einer „Kommunalkammer“ sieht er als essenziell an, um den Kommunen auf Bundesebene ein Mitspracherecht einzuräumen. Grundsätzlich seien bei einem System, wie das Netzwerk es anstrebe, allerdings fortlaufende Anpassungen notwendig, um es kontinuierlich an die kommunalen und bundesweiten Bedürfnisse anzupassen, erklärt Salomo. Diese könnten sich bspw. durch Krisen verändern. Wie schnell das alles realisiert werden könne, „hängt von politischen Prioritäten, der Verfügbarkeit finanzieller Mittel und dem Willen zur Zusammenarbeit auf allen föderalen Ebenen ab“.
Spitzenverbände stimmen zu
Auch für den Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB), Alexander Handschuh, ist klar, dass vor allem eine ausreichende Finanzierung und das Konnexitätsprinzip gebraucht werden. Eine Entlastung von den immer neuen Aufgaben durch Bund und Länder sei notwendig. Denn „[k]ommunale Selbstverwaltung funktioniert nur, wenn auch ausreichend finanzielle und tatsächliche Spielräume zum Gestalten vorhanden sind“, heißt es vom DStGB. Auch die Digitalisierung und technischen Fortschritte würden in Zukunft Möglichkeiten bieten, Aufgaben wieder an den Bund „zurückzugeben“. Aber die Einrichtung einer „Kommunalkammer“ werde mehr Zeit benötigen, da damit umfassende Änderungen am Grundgesetz einhergingen.
Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des DST, zeigt sich über die aktuell gängige Praxis bei neuen Gesetzesentwürfen sehr verwundert: „Warum nur verzichtet der Gesetzgeber so oft darauf, die praktischen Erfahrungen der Städte einzubeziehen? Es müsste ihn doch interessieren, ob die neuen Regeln den Praxistest bestehen können.“ Der DST hat seine ähnlichen Ansichten in einem Positionspapier dargelegt und möchte die kommunale Beteiligung durch Spitzenverbände ebenfalls im Grundgesetz verankern. Auch sie sind der Ansicht, dass die Umsetzungs- und Lösungskompetenz der Städte und Gemeinden nicht ausreichend in den Gesetzgebungsprozess einfließt.
Daher fordern sie unter anderem auch eine Festschreibung für eine ausreichende Beteiligungsfrist in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). Zusätzlich fordert der DST eine dauerhafte Lösung für die Haushaltsprobleme und die Übernahme von neu entstehenden Kosten durch Bund und Länder. Bei einem sind sich aber alle genannten Verbände einig: Die Weichen für eine Verbesserung der kommunalen Situation müssen mit der vorgezogenen Wahl gestellt werden.