Nahezu jeden Tag wird in Nordrhein-Westfalen eine Frau Opfer eines Femizids. Das zeigt eine neue Studie des Landeskriminalamts (LKA) NRW.
Die Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle (KKF) des LKA hat erstmals eine Untersuchung zu Tötungsdelikten an Frauen in Nordrhein-Westfalen vorgelegt. Beauftragt wurde sie vom Innenministerium des Landes. Im Mittelpunkt standen sogenannte Femizide – also Tötungen von Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Grundlage der Analyse waren Auswertungen der nordrhein-westfälischen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sowie Interviews mit Expertinnen und Experten, die aus unterschiedlichen Perspektiven mit solchen Delikten befasst sind.
Ergebnisse der Untersuchung
Zwischen 2014 und 2023 wurden insgesamt 1.666 versuchte und vollendete Tötungsdelikte an Frauen erfasst. Dabei starben 908 Frauen. 522 dieser Fälle stufte das LKA als Femizid ein. In 511 Fällen konnte das Tatmotiv nicht eindeutig festgestellt werden. Bei den übrigen 633 Fällen schlossen die Ermittlerinnen und Ermittler eine Tötung aufgrund des Geschlechts aus. In 99 Prozent der als Femizid eingeordneten Delikte waren die Täter Männer. Bei 87 Prozent handelte es sich um Beziehungstaten, die meist von aktuellen oder ehemaligen Partnern der Opfer begangen wurden.
Viele Täter wiesen nach Angaben der befragten Expertinnen und Experten ein stark patriarchales Frauenbild auf, das mit Kontrolle, Besitzdenken und Eifersucht einherging. Häufiger Auslöser für Femizide sei eine angekündigte oder bereits vollzogene Trennung oder Scheidung. Im Rahmen der Interviews kritisierten einige Expertinnen und Experten der Begriff „Femizid“. So bezeichneten ihn einige Expertinnen und Experten – auch aus der Polizei – als schwer operationalisierbar. In der beruflichen Praxis werde er selten oder gar nicht verwendet. Positiv hervorgehoben wurde dagegen seine Bedeutung im öffentlichen Diskurs, um gesellschaftlich sichtbar zu machen, dass Frauenmorde aufgrund ihres Geschlechts ein spezifisches Problem darstellen.
Kritik und Wünsche
Auch Kritik an der polizeilichen Arbeit wurde geäußert. Vor allem Vertreterinnen und Vertreter der Sozialen Arbeit bemängelten, dass Bedrohungsanzeigen von Opfern nicht immer ernst genug genommen würden. An der Arbeit der Justiz kritisierten einige Befragte, dass die Istanbul-Konvention nach wie vor nicht vollständig umgesetzt werde. So berücksichtige die Justiz das Merkmal der Frauenfeindlichkeit bei Tätern in Gerichtsprozessen häufig nicht.
Als Maßnahme gegen Femizide sprachen sich die Expertinnen und Experten für eine gleichstellungsorientierte Erziehung bereits im Kindesalter aus, um starre Rollenbilder zwischen Männern und Frauen gar nicht erst zu verfestigen. Elternhaus, Kindertagesstätten und Schulen kämen dabei zentrale Aufgaben zu. Darüber hinaus müsse die Gesellschaft stärker für Themen wie Häusliche Gewalt, Femizide und bestehende Hilfsangebote sensibilisiert werden. Eine engere und strukturierte Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Beratungsstellen könne im Kampf gegen Femizide entscheidend sein. Nach Angaben des LKA werde die Polizei NRW die Erkenntnisse des Forschungsberichts in ihre Arbeit aufnehmen. So sollen Ermittlerinnen und Ermittler, die für Tötungsdelikte zuständig sind, künftig stärker für das Thema sensibilisiert werden





