Deutschland setzt im Katastrophenfall auf mehr als 1,7 Millionen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Doch die Einsatzbereitschaft ist deutlich geringer, als es diese Zahl vermuten lässt. Eine aktuelle Studie der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM) unter 3.681 aktiven ehrenamtlichen Einsatzkräften zeigt: Im Ernstfall stehen nur rund 44 Prozent der registrierten Ehrenamtlichen tatsächlich zur Verfügung. Nur rund ein Drittel der Einsatzkräfte ist jederzeit verfügbar.
Besonders problematisch: Mehr als die Hälfte der Ehrenamtlichen arbeitet hauptberuflich in Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) wie Krankenhäusern, Versorgungsbetrieben oder der öffentlichen Sicherheit. Im Krisenfall werden sie dort dringend gebraucht – ein gleichzeitiger Einsatz im Bevölkerungsschutz ist nicht möglich. Hinzu kommt, dass manche Helfer gleich mehrere Ehrenämter übernehmen, praktisch aber trotzdem nur an einem Ort helfen können. „Was auf dem Papier nach Stärke aussieht, entpuppt sich in der Realität als riskante Illusion“, warnt die DGKM.
Berufliche Verpflichtungen bremsen Einsatzfähigkeit
Hauptgrund für die eingeschränkte Verfügbarkeit sind berufliche Verpflichtungen: 57,4 Prozent der Befragten nannten dies als Hindernis. Besonders Ärzte und Ärztinnen sind betroffen. Mit durchschnittlich 49 Wochenstunden arbeiten sie bereits am Limit – und sind dennoch fest in den Katastrophenschutzkonzepten eingeplant. Während es für das Technische Hilfswerk (THW) und die Freiwillige Feuerwehr eine bundesweit einheitliche Freistellungsregelung gibt, gilt für Hilfsorganisationen ein Flickenteppich aus regionalen Sonderregelungen. Die DGKM fordert deshalb eine bundeseinheitliche Gleichstellung aller Einsatzkräfte.
„Ein Warnschuss für Politik und Gesellschaft“
„Wir müssen uns ehrlich eingestehen, was unsere Einsatzkräfte im Krisenfall tatsächlich leisten können“, sagt DGKM-Präsident Dr. Andreas Follmann. „Wir täuschen uns selbst, wenn wir glauben, dass der Bevölkerungsschutz so einsatzbereit ist, wie er in den Statistiken aussieht. Im Ernstfall könnten wir feststellen, dass mehr Lücken als Helfer vor Ort sind – und das kann Menschenleben kosten.“ Als mögliche Kompensation regt er unter anderem den verstärkten Einsatz von Telemedizin an.
Die Studie lege offen, dass der Bevölkerungsschutz in Deutschland auf wackeligen Beinen steht, so die Gesellschaft. Ohne strukturelle Reformen drohe im nächsten Großschadensereignis nicht nur Versorgungslücken – sondern im schlimmsten Fall das Scheitern des gesamten Systems.
Die DGKM fordert deshalb:
- Bundeseinheitliche Helfergleichstellung für alle Organisationen
- Systematische Erfassung von Doppelrollen und Mehrfachfunktionen
- Entlastung besonders belasteter Berufsgruppen
- Gezielte Nachwuchsgewinnung und attraktivere Rahmenbedingungen für das Ehrenamt
Die Studie findet sich hier.





