Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Eine Etappe auf dem Weg dahin ist die Nutzung von Abwasserwärme zum Beheizen des kommunalen Gebäudesektors. In vielen europäischen Ländern werden die Wärmequellen bereits eingesetzt, auch in Deutschland ist die Technik auf dem Vormarsch.
Energie aus dem Gully – für viele Städte und Gemeinden eine kontinuierliche und erneuerbare Wärmequelle, die das ganze Jahr über bei weitgehend konstanter Temperatur zur Verfügung steht. Nach aktueller Studienlage können damit bis zu 15 Prozent des Wärmebedarfs im kommunalen Gebäudesektor abgedeckt werden. Angesichts der Energiewende dürfte Wärmegewinnung aus Abwasser auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Doch wie können Kommunen die Technik nutzen, welche Voraussetzungen braucht es und wie müssen die finanziellen Bedingungen ausgestaltet sein? In einer Diskussionsrunde des Deutschen Instituts für Urbanistik gaben Experten Antworten.
„Abwasserwärme ist eine sehr sichere Energiequelle, denn Abwasser wird es immer geben“, betont Dr. Simon Ambühl, Projektleiter Energie bei der Holinger Gmbh, einem Schweizer Unternehmen, das Verfahrenstechnik für Kläranlagen konzipiert. Die Möglichkeiten der Nutzung, aber auch der technischen Nutzbarmachung seien vielfältig.
Nachträglicher Einbau von Wärmetauschern problematisch
So lasse sich in einer simplen Version „inhouse“ über den Einbau eines Wärmetauschers die anfallende Abwassermenge nutzen. In einem nächsten Schritt kann der Wärmetauscher an Gebäudeausgängen installiert werden – mit diesem Verfahren können größere Anlagen, wie Pflegeheime oder Krankenhäuser beheizt werden. Ganze Gebäudesektoren lassen sich hingegen mit einem Wärmetauscher, der im Kanalnetz eingesetzt wird, mit Energie versorgen.
Das Prozedere bei letzterer Option erklärt Ambühl so: „Bevor das in der Kläranlage gereinigte Abwasser in den Fluss weitergeleitet wird, entziehen wir Wärme.“ Die nachfolgend heruntergekühlte Wassertemperatur habe einen „positiven Einfluss“ auf das Gewässer.
Mangelnde Verfügbarkeit von digitalen Karten
Wie groß das Potenzial von Abwasserwärme für das Beheizen von großflächigen Wohnquartieren ist, demonstriert Tobias Meyer, der bei den STWB Stadtwerken Bamberg Ingenieur für die Quartiersentwicklung des Lagarde-Campus in Bamberg ist. Für das 22 Hektar große Areal erzeugen Wärmepumpen mithilfe der Restwärme aus dem Abwasser heißes Wasser für Küche, Bad und Heizung in den Wohnungen. Parallel werden die Erdwärmespeicher auf dem Areal durch die Abwasserwärme wieder aufgeladen. Damit verbunden ist eine Heizöl-Einsparung von 230.000 Litern pro Jahr. Insgesamt 1.200 Familien werden so mit Wärme versorgt, die zu 70 Prozent CO2-neutral gewonnen wird. Meyer erläutert die Details: Vor dem Bau der Häuser würden hier Erdwärmekollektoren wie eine Fußbodenheizung unter der Bodenplatte verlegt, 117 Erdsonden seien hier auf drei Plätze verteilt, die Wärmetauscher wurden insgesamt auf einer Länge von 225 Metern verlegt.
Eine Hürde für die Nutzung von Abwasser-Wärmequellen ist allerdings die mangelnde digitale Verfügbarkeit von Karteninformationen zu Kanalnetzen. Privaten Bauherren und Energiedienstleistern fehlt dadurch oft die Planungsgrundlage. Ein weiteres Hindernis seien Genehmigungsverfahren, die sich in die Länge zögen, so Ambühl. Wenn Kommunen Gebäude mit Abwasserwärme versorgen wollen, werde die Energie in der Regel über den Kanal bereitgestellt. „Wenn Kommunen aber das Maximum an Wärme aus dem Abwasser ziehen wollen, dann erreicht man den Energiebedarf nur unter Einbeziehung der Kläranlage“, ergänzt der Projektleiter.
Den Mehraufwand bezahlen
Dabei müssen Kommunen auch die Frage beantworten, ab welcher Kilowattmenge sich die Nutzung von Abwasserwärme grundsätzlich lohnt. Aus Sicht von Ambühl gebe es darauf keine eindeutige Antwort. „Entscheidend ist hier nicht die Leistung, sondern der Energieabsatz, also die Zahl der Megawattstunden, die ich pro Jahr absetzen kann“, führt er aus. Beziehe beispielsweise eine Wäscherei Abwasserwärme, dann brauche diese zwar tagtäglich Energie, aber nicht das Maximum an Leistung. In einem solchen Fall lasse sich ohne Weiteres auch eine kleine Wärmepumpe installieren.
Bei der Abwägung, ob der Bezug von Abwasserwärme für eine Gemeinde wirtschaftlich ist oder nicht, sei stattdessen folgende Faustformel zu beachten: Pro Kilometer Leitungslänge müsse ein Megawatt Leistung erwirtschaftet werden. „Man muss also schauen: Wo ist das Zentrum? Wo ist die Kläranlage und wie viel Leistung kann ich rausziehen? Dann kann man grob abschätzen, ob es wirtschaftlich ist oder nicht“, so Ambühl.
In den meisten Fällen erhalten die Kanalbetreiber nach geschlossener Vereinbarung von der Kommune eine Einmalzahlung für den Aufwand, den sie für die Installation der technischen Voraussetzungen benötigen. Hinzu kommen jährliche Pauschalen, die sich an dem erhöhten Betriebsaufwand der Kanalbetreiber orientieren. „Wir verkaufen keine Wärme, sondern wir lassen uns den Mehraufwand bezahlen“, sagt Ingo Schwerdorf, Abteilungsleiter Wasserwirtschaftliche Planungen bei den Stadtentwässerungsbetrieben Köln. Denn: Gewinne zu erwirtschaften ist Entwässerungsbetrieben als Anstalten des öffentlichen Rechts untersagt.