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StartRechtAGG-Hopping als Missbrauch des Antidiskriminierungsgesetzes?

AGG-Hopping als Missbrauch des Antidiskriminierungsgesetzes?

AGG-Hopper sind Personen, die sich auf Stellenanzeigen bewerben, um im Anschluss wegen einer vermeintlichen Diskriminierung Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Dieses Phänomen existiert seit Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Bis heute wurden hierzu bereits ungezählte Rechtsstreite geführt. Da nach wie vor Stellenausschreibungen veröffentlicht werden, die zum Beispiel nicht geschlechtsneutral formuliert sind oder in anderer Weise Einladungen zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aussprechen, wird sich daran vermutlich auch zukünftig nicht viel ändern.

Die Verteidigung der Arbeitgeberseite besteht häufig im Einwand des Rechtsmissbrauches. So wird geltend gemacht, dass die sich bewerbende Person die Stelle nie gewollt habe und es nur um die Entschädigung gehe. Das BAG hat sich in der Vergangenheit eher kühl gezeigt und für den erfolgreichen Einwand des Rechtsmissbrauches die Hürden recht hochgelegt. Nun liegt eine neue Entscheidung vor, welche die Gewichte ein wenig zugunsten der Arbeitgeberseite verschiebt.

Die Entscheidung des BAG (19. September 2024 – 8 AZR 21/24)

Der (männliche) Kläger hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Er war zuletzt arbeitslos und absolvierte im Zeitpunkt der Einleitung des Klageverfahrens ein Fernstudium zum Wirtschaftsjuristen. Er hatte sich in der Vergangenheit bei verschiedenen Arbeitgebern auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ beworben und führte im Nachgang Entschädigungsprozesse im gesamten Bundesgebiet aufgrund einer behaupteten Benachteiligung wegen des Geschlechts. Ganz überwiegend wurden die Klagen mit der Begründung abgewiesen, das Vorgehen des Klägers sei rechtsmissbräuchlich.

Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger bei einer Ingenieursgesellschaft in Dortmund (Entfernung zum Wohnort des Klägers ca. 170 km) auf die Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ beworben und – nachdem er keine Rückmeldung erhalten hatte – eine Entschädigung eingeklagt. Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Rechtsmissbrauch sei anzunehmen, wenn die Person sich nicht beworben habe, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne des AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen. Für die Tatsachen, die den Einwand des Rechtsmissbrauchs tragen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet.

Folgende Kriterien waren für die Annahme von Rechtsmissbrauch im hiesigen Verfahren ausschlaggebend:

  • 170 km Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte sowie kein konkreter Vortrag zu Umzugswilligkeit oder zu dem Umstand, wie tägliches Pendeln bewerkstelligt werden könnte. Der Kläger hatte in anderen Verfahren vorgetragen, „gerade“ eine Wohnung am Ort der jeweiligen Arbeitsstätte zu suchen (verteilt über das ganze Bundesgebiet),
  • Schilderung von Allgemeinplätzen in der Bewerbung wie „Berufserfahrung im Büro“ und ein Auskennen mit „typischen Bürotätigkeiten“, ohne nähere Angaben zu seiner Erwerbsbiographie,
  • Ob das ausgeübte Fernstudium insoweit zu berücksichtigen ist, könne dahinstehen,
  • Systematisches und zielgerichtetes Vorgehen, das darauf gerichtet ist, mit der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen zusätzliche Einnahmen zu generieren. Dabei sei nicht allein ausschlaggebend, dass eine Person mehrere erfolglose Bewerbungen und Entschädigungsprozesse geführt habe. Vorliegend hatte der Kläger sich in einer Vielzahl von Fällen mit zunächst im Wesentlichen wortgleichen Schreiben („erste Generation“) beworben. Nachdem Gerichte verschiedene Aspekte des Vorgehens und einzelne Formulierungen kritisiert hatten, veränderte der Kläger sein Vorgehen entsprechend („zweite Generation“). Diese „Optimierung“ diente nicht der Verbesserung von Bewerbungschancen, sondern nur dem Zweck, mögliche formelle Indizien für einen Rechtsmissbrauch zu eliminieren. Die Bewerbungen selbst blieben weiter auf möglichst aussichtslosem Niveau.

Sodann setzt sich das BAG noch mit der Frage auseinander, inwieweit Erkenntnisse aus anderen Gerichtsverfahren unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten bei der Entscheidungsfindung herangezogen werden können. Nach Abwägung der wechselseitigen Interessen kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass kein Verwertungsverbot besteht und das gesamte (Prozess-)Verhalten des Klägers herangezogen werden kann.

Bewertung und praktische Auswirkungen

Im Rechtsstaat müssen die Hürden für den Einwand des Rechtsmissbrauchs hoch sein. Nicht jedes rechts- und pflichtwidrige Verhalten führt zur Unzulässigkeit der hierdurch erlangten Rechtsposition. Das BAG hat anhand dieses „Profi-Klägers“ nun aufgezeigt, wo die Grenzen liegen und wann die Grenze zum Rechtsmissbrauch überschritten ist.

Die Entscheidung darf Arbeitgeber jedoch keineswegs dazu veranlassen, sich nun bei dem Thema AGG-Hopping entspannt zurückzulehnen. Es werden weitere klagende Parteien kommen, die zunächst nicht gerichtsbekannt sind und wahrscheinlich auch geschickter vorgehen als der Kläger im hiesigen Verfahren.

Das einzige wirksame Mittel gegen Entschädigungsansprüche nach dem AGG ist konsequente Compliance. Das fängt (natürlich) mit einer diskriminierungsfreien Stellenanzeige an und umfasst den gesamten Recruitingprozess.

Für öffentliche Arbeitgeber gelten zusätzliche Anforderungen, wie die Verpflichtung zur Meldung freier Arbeitsplätze bei der Agentur für Arbeit und das Gebot, schwerbehinderte Bewerber*innen zum Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 165 SGB IX). Diese Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers beinhaltet auch das Erfordernis, einen Ersatztermin anzubieten, wenn die sich bewerbende schwerbehinderte Person ihre Verhinderung vor der Durchführung des vorgesehenen Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und dem Arbeitgeber die Durchführung eines Ersatztermines zumutbar ist (BAG, Urteil vom 23. November 2023 – 8 AZR 164/22).

Die Anforderungen, welche das AGG an (öffentliche) Arbeitgeber stellt, können nicht zufällig erfüllt werden. Dies kann nur gelingen, wenn diskriminierungsfreie Prozesse etabliert sowie konsequent durchgeführt und dokumentiert werden. Andernfalls wird man über kurz oder lang nähere Bekanntschaft mit einem AGG-Hopper machen.

Der Autor des Gastbeitrags ist Dr. Herbert Hertzfeld von der Küttner Rechtsanwälte Partnergesellschaft.

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